Furcht und Schrecken sind Kurt Peldas Beruf. Wo kurdische Rebellen gegen die Truppen des Islamischen Staats (IS) kämpfen, Jihadisten Andersgläubige enthaupten und Regierungstruppen Dörfer bombardieren, da ist Peldas Arbeitsort.
Die Nächte verbringt er in bewachten Häusern, und er wagt sich nur in Begleitung von Leibwächtern auf die Strasse. Die Angst vor Entführungen und Anschlägen ist sein ständiger Begleiter. Und trotzdem reist er seit drei Jahren immer wieder in den Bürgerkrieg nach Syrien und in den Irak. «Irgendjemand muss ja hinschauen und berichten», sagt er. Vergangenes Wochenende ist der freischaffende Journalist von seiner letzten Reise in den Norden Syriens zurückgekehrt.
Seither steht er im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Pelda bezeichnet sich als Überbringer und wird dabei selber zur Nachricht. «Wie geht es Ihnen?», fragen ihn die Journalisten. «Was sagt Ihre Familie zu diesen Reisen?» «Und wie schützen Sie sich?» Wir treffen Pelda beim SRF-Hauptsitz in Zürich vor seinem nächsten Auftritt. Ein kleingewachsener Mann mit schütterem Haar, dessen müder Blick erahnen lässt, welchen Strapazen er sich in den vergangenen Wochen ausgesetzt hat.
Herr Pelda, wo Sie auftreten, werden Sie als Kriegsreporter angekündigt. Gefällt Ihnen diese Bezeichnung?
Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, aber ich bin da etwas reingedrängt worden. Es ist richtig, dass ich in den vergangenen drei Jahren meistens Konfliktgebiete im Nahen Osten besucht habe. Bei früheren Reisen hatte ich häufig den Eindruck, es spiele gar keine Rolle, wo ich war. Stattdessen ging es dann um meine Person, meine Gefühle, meine Kinder, meine Familie. Dieses Mal ist es anders. Es geht um die Sache, um die Verfolgungen, die Jihadisten. Meine Geschichte ist sehr nebensächlich und das ist gut so.
Reden wir über die Sache. Mit welchem Ziel sind sie vor zwei Wochen nach Syrien gereist?
Es kam am Ende ganz anders, als ich es geplant hatte. Ich wollte durch den Nordosten von Syrien in den Irak einreisen, in den Rücken des Islamischen Staats. Dorthin wo die verfolgten Jesiden vor den Jihadisten flüchteten. Die türkische Regierung hat jedoch die Grenze dichtgemacht. Nach drei Tagen merkte ich, mir läuft die Zeit davon. Ich reiste in den Norden der Region Aleppo, wo es ebenfalls kurdische Rebellen gibt und eine gute Geschichte möglich war.
Das Ziel war eine gute Geschichte?
Natürlich, ich muss diese Reisen ja auch verkaufen. Ich wollte syrische Kurden treffen. Denn diese haben die verfolgten Jesiden gerettet und den Vormarsch der IS aufgehalten. Ich wollte das Erfolgsrezept entdecken: Wie kann man diese Jihadisten schlagen? Und dafür musste ich mit diesen Kurden in Syrien unterwegs sein.
Kennen Sie das Rezept?
Die Kurden haben schwere Waffen, und vor allem sind sie diszipliniert und trainiert. Sie gehören zu den wenigen in Syrien, die durchs Visier schauen, bevor sie schiessen. Das ist eine ausgebildete Armee, und das macht sie erfolgreich.
«Die Kurden gehören zu den wenigen in Syrien, die durchs Visier schauen, bevor sie schiessen.»
Sie sagten kurz vor Ihrer Abreise, der IS werde überschätzt. Haben Sie diesen Eindruck immer noch?
In den Propagandavideos sehen wir heldenhafte und unbesiegbare Kämpfer. Das übernehmen die westlichen Medien relativ kritiklos. Dennoch schafften die IS-Kämpfer bisher keinen Durchbruch im Norden von Aleppo. Ich glaube, man muss die Gefährlichkeit der Jihadisten relativieren. Es gibt ein paar sehr kampfstarke Einheiten, etwa mit Tschetschenen. Viele der Kämpfer sind aber Jünglinge mit wenig Erfahrung.
Weshalb konnte sich der Islamische Staat trotzdem so stark ausbreiten?
Er hat viel Geld, weil er ganze Ölquellen kontrolliert. Damit konnte er viele Stämme für sich gewinnen, die sich dem IS unterwerfen. Und das machen auch ganze Einheiten von Rebellen. Das Geld ist der eine Grund. Dann haben sie sich feige im Rücken der Rebellen ausgebreitet. Das Machtvakuum hat der Westen durch seine Tatenlosigkeit erst ermöglicht. Und der letzte und vielleicht wichtigste Faktor ist das syrische Regime mit Baschar al-Assad. Dieser hat die islamischen Gruppen gewähren lassen und zu Beginn auch gefördert. Diese Faktoren haben den Aufstieg der IS ermöglicht.
Wenn Sie von Ihren Besuchen erzählen, beziehen Sie klar Stellung. Zum Beispiel fordern Sie Waffenlieferungen an die Kurden. Sie sind kein neutraler Berichterstatter.
Wenn man solche Sachen gesehen hat, wie ich in Syrien, und man die Berichte der Menschen hört, das bricht einem das Herz. Da ist Neutralität keine Option. Ich bin Meinungsjournalist und kein objektiver Beobachter.
Bei Ihren Reisen in Syrien bewegen Sie sich ausschliesslich unter Rebellen. Wie stark werden Sie dadurch beeinflusst?
Sie versuchen, mich für ihre Sichtweise zu gewinnen. Aber es ist eben keine Armee. Im Irak mit den Amerikanern musste man als Berichterstatter eine Vielzahl von Regeln unterschreiben. Das gibt es bei den Rebellen nicht. Es sind verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Meinungen. Am Ende bin ich frei darin, mir mein eigenes Bild zu machen.
Wie finden Sie Ihre Mittelsmänner vor Ort?
Die wichtigste Vertrauensperson vor Ort ist mein Dolmetscher, mit dem ich seit mehreren Jahren zusammenarbeite und dem ich blind vertraue. Damals haben Exil-Syrer aus der Schweiz den Kontakt zu ihm vermittelt. In der Zwischenzeit habe ich viele weitere Kontakte vor Ort und mehrere Vertrauenspersonen.
Es ist im Zusammenhang mit Kriegsreportern häufig von «Fixern» die Rede, den Strippenziehern im Hintergrund.
Mein Dolmetscher ist gleichzeitig mein Fixer. Er knüpft Kontakte, kennt die Lage vor Ort, die Verbindungsstrassen. Fixer machen das für Geld, aber in der Regel auch aus Überzeugung, damit die Informationen aus dem Land gelangen. Und anders als ich, der in die sichere Schweiz zurückkehrt, bleibt er im Land und riskiert sein Leben.
Anfang dieser Woche haben die IS-Kämpfer erneut einen Journalisten umgebracht. Wie beeinflussen die jüngsten Enthauptungen Ihre Arbeit?
Ich habe noch nie so viel Zeit in einem bewachten Haus verbracht, wie bei der letzten Reise. Zudem habe ich meine Leibwache verstärkt. Auswärts essen oder einen Kaffee trinken gehen, kam nicht mehr infrage. Ich hätte mich gerne draussen aufgehalten, aber das Risiko, von den falschen Leuten gesehen zu werden, war zu gross.
Sollten die Staaten im Falle von Entführungen Lösegelder zahlen?
Lösegelder finanzieren Terrororganisationen. Die Offensive des IS im Irak wurde grösstenteils ermöglicht durch die Lösegeldzahlungen von Frankreich in der Höhe von schätzungsweise 40 Millionen Euro für vier Journalisten. Dazu kamen noch ein paar zerquetschte für zwei Spanier. Natürlich ist es zynisch zu sagen, wir bezahlen nichts, und dem Entführten wird der Kopf abgeschnitten. Wenn ich entführt, an Handschellen stundenlang aufgehängt und mit Elektroschocks traktiert werde – wer würde sich in dieser Situation nicht wünschen, dass irgendjemand ein Lösegeld bezahlt, damit das aufhört. Gleichzeitig darf sich der Staat von solchen Leuten aber nicht erpressen lassen.
Ihre Forderung an den Staat wäre also: Bezahlt keine Lösegelder.
Richtig.
Aber bezahlt, wenn ich gefangen genommen worden bin?
Nein, nein. Der Staat soll keine Lösegelder zahlen. Es gibt natürlich immer Private, die es trotzdem versuchen.
Wie gut leben Sie von dieser Arbeit?
Bevor ich abgereist bin, hatte ich noch rund 4000 Franken auf dem Konto und bin dann während meiner Reise ins Minus gerutscht. Gestern habe ich ein Honorar erhalten für einen Artikel in der «Weltwoche» und bin jetzt wieder knapp im Plus. Ich bin immer auf der Kippe. Mein Geld steckt in meiner Ausrüstung, Ersparnisse habe ich keine. Wenn wir meine Steuererklärung anschauen würden, wäre ich in der Nähe der Armutsgrenze.
Angst ist ein Thema, mit dem Sie sehr offen umgehen. Sie sagen, das gehöre dazu.
Es ist auch ein natürliches Ventil. Bei meiner letzten Reise überlegten wir uns, nach Aleppo zu fahren. Mein Dolmetscher und ich hatten beide ein so schlechtes Gefühl, dass wir es bleiben liessen. Und es gibt viele weitere gefährliche Situationen. Wer da keine Angst hat, ist dumm.
Weshalb reisen Sie trotzdem immer wieder in Kriegsgebiete?
Irgendjemand muss diese Arbeit ja machen, sonst haben wir über die Wirklichkeit vor Ort überhaupt keine Ahnung. Ich finde es wahnsinnig, was in Syrien in den vergangenen drei Jahren passiert ist. Von Schüssen auf Demonstranten über Panzer, Luftangriffe, Giftgaseinsätze bis hin zum Terror vom IS. Das sind so horrende Verbrechen. Es ist die Aufgabe von Journalisten, vor Ort zu gehen und darüber zu berichten.
Das klingt sehr selbstlos.
Dieses Leben unter schwierigen Bedingungen hat auch etwas Anziehendes. Vor allem wenn man aus einer solchen Luxuswelt kommt wie der unsrigen. Allen würde es einmal guttun, wenigstens einmal Afrika zu bereisen. Ein Slum zu sehen und das wirklich einfache Leben kennenzulernen: ein Dach über dem Kopf, essen und gesund sein. Wir kümmern uns um Nackt-Selfies, so Zeugs bringt uns in Rage. Ich denke manchmal, wir wissen gar nicht mehr, was wichtig ist. Mir helfen solche Reisen zu sehen, wie gut ich es habe und wie klein meine Sorgen sind.
«Ich denke manchmal, wir wissen gar nicht mehr, was wichtig ist.»
Sind Sie gläubig?
Es ist nur ein kleiner Ausschnitt der tatsächlichen Grausamkeit, den ich gesehen habe. Aber alleine das macht es für mich sehr schwer zu glauben, dass da ein Gott ist, der das zulässt. Und dann stellt sich die Frage, ob ich so einen Gott überhaupt will.
Ein Ventil für Ihre Erlebnisse ist das Schreiben und darüber zu sprechen. Reicht das aus?
Nach meinen Reisen habe ich immer gewisse psychosomatische Störungen, schlafe schlecht, habe Albträume. Ich habe auf dieser Reise wenig wirklich schlimme Dinge erlebt, es ist mehr diese diffuse Angst vor Entführungen und das Eingesperrtsein, die nachwirkt. In der Regel legt sich das wieder. Ich denke zurzeit dennoch über eine Therapie nach, um einmal zu sehen, was all diese Erfahrungen der vergangenen Jahre für Spuren hinterlassen haben.
Gehen Sie demnächst wieder zurück nach Syrien?
Im Moment habe ich überhaupt kein Bedürfnis danach.
Sie pendeln zwischen zwei Welten, und die eine ist der anderen kaum vermittelbar. Macht Sie das einsam?
Das ist genau so: nicht vermittelbar. Meine Partnerin beispielsweise hört mir zu und kann mich bis zu einem gewissen Punkt auch verstehen. Ein wirklicher Austausch ist aber nur möglich mit Leuten, die auch im Kriegsgebiet waren. Ich habe immer wieder Kontakt mit Journalisten aus dem Ausland. Da ist das Verständnis am grössten, sie wissen, wie man sich fühlt.
Sie haben zwei kleine Kinder. Müssen Sie sich häufig rechtfertigen für Ihre Arbeit?
Es gibt Leute, die lehnen ab, was ich mache und welche Risiken ich eingehe, gerade wegen meiner beiden Buben. Man sollte aber auch rauchende Eltern fragen, weshalb sie das ihren Kindern zumuten.
Lässt sich das vergleichen?
Wer einen Elternteil wegen Krebs verloren hat, weiss, wie schlimm das sein kann. Ich habe es bei meiner Mutter miterlebt. Und Rauchen ist nur ein Beispiel: Motorradfahren, Extrem-Bergsteigen, Basejumping. Ich kann immerhin sagen, ich mache es nicht nur aus Konsumfreude und tue damit etwas Gutes. Vielleicht ist das auch meine Lebenslüge. Aber immerhin sehe ich darin einen Sinn.