Weißes Scheinwerferlicht erhellt den Tafawa Bawela Square im Zentrum von Lagos. Frauen und Männer drängen auf den von Tribünen umrandeten Platz, Kamerakräne schwenken über die Menge. Wo in der Vergangenheit Popstars und Staatspräsidenten aufgetreten sind, steht nun auf einer samtblau bezogenen Bühne Pastor David Ibiyeomie. Ein kahlköpfiger Mann in weißem Anzug, mit charismatischem Lächeln und wuchtiger Stimme. „Es ist vorbei mit den Schulden, vorbei mit der Arbeitslosigkeit, vorbei mit der Armut!“, ruft er ins Mikrofon. Lautsprechertürme werfen seine Worte über die Menschenmenge hinweg, Großleinwände leuchten in der Nacht. Auf dem Platz stehen mehrere Tausend Menschen zwischen weißen Plastikstühlen, auf denen kaum jemand sitzt. „Amen“ antwortet der Chor der Gläubigen auf jedes Versprechen des Pastors, sie strecken die Arme zum Himmel, manche werfen sich auf den harten Boden.
Pastor David Ibiyeomie ist Gründer und Oberhaupt von Salvation Ministries. Die Pfingstkirche ist eine der größten Nigerias mit mehreren Hunderttausend Anhängern, eigenen Fernsehstationen und Ablegern in den USA und Kanada. Ibiyeomie, studierter Mikrobiologe, gründete die Kirche vor zwanzig Jahren. Gerade lässt er im Osten des Landes einen neuen Prunkbau errichten, die „Hand of God Cathedral“, die im kommenden Jahr eingeweiht werden soll. Das Auditorium, von dem bisher erst der Rohbau steht, ist in seiner Form einer Hand mit fünf Fingern nachempfunden und soll dereinst Platz bieten für bis zu 120.000 Gläubige. Die Kathedrale wäre dann das größte Kirchengebäude der Welt – größer noch als der erst kürzlich eröffnete Glory Dome, der ebenfalls in Nigeria steht und 100.000 Menschen fasst. Zum Vergleich: Der Petersdom in Rom bietet 20.000 Plätze.
Die Kirche Salvation Ministries steht exemplarisch für den anhaltenden Erfolg der Pfingstbewegung. Diese gilt als die am schnellsten wachsende Glaubensgemeinschaft weltweit, und sie wächst vor allem dort, wo die meisten Verlierer der Globalisierung zu Hause sind: in Asien, Lateinamerika und Afrika. Rund 670 Millionen Gläubige gehören laut der World Christian Database (WCD) heute einer Pfingstkirche, einer charismatischen oder neo-charismatischen Kirche an. Das ist mehr als ein Viertel der insgesamt 2,5 Milliarden Christen. Zum Vergleich: In den 1970er-Jahren waren es gerade einmal fünf Prozent. Hält dieses Wachstum weiter an, könnte bis 2050 die Pfingstbewegung das katholische Christentum in weiten Teilen der Welt als größte christliche Strömung ablösen. Dann soll die Zahl der Anhänger laut WCD 1 Milliarde betragen – das wäre eine Zunahme von 40.000 Menschen pro Tag.
Nigeria ist eine Hochburg der Bewegung. Nur in Brasilien, China und den USA hat sie ähnlich viele Anhänger wie hier. Der World Christian Database zufolge gehörten im Jahr 2010 knapp 50 Millionen Nigerianer der Pfingstbewegung an, das ist ein Drittel der Bevölkerung. Hundert Jahre zuvor waren es gut 100.000 Menschen. Heute tragen die größten Kirchen Nigerias sprechende Namen wie Winners Chapel („Kapelle der Gewinner“) oder Christ Embassy („Botschaft Christi“), und die Kirchenoberhäupter zählen zu den reichsten Männern des Kontinents. Sie besitzen Villen, reisen in Privatjets und Luxuslimousinen. Laut der Forbes-Liste betrug das geschätzte Vermögen von Bischof David Oyedepo, Gründer der Winners Chapel und Ziehvater von David Ibiyeomie, vor einigen Jahren 150 Millionen US-Dollar. Das Vermögen von Chris Oyakhilome, Gründer von Christ Embassy, und Enoch Adeboye, dem Oberhaupt der Redeemed Christian Church of God, beziffern nigerianische Medien mit jeweils rund 60 Millionen US-Dollar.
Woher dieser Reichtum? Sein Fundament bilden tatsächlich die Kirchenmitglieder. Großzügige Spenden sind ein ungeschriebenes Gebot, das die Gläubigen gewissenhaft befolgen. Ihre Pastoren tragen den Reichtum demonstrativ zur Schau und inszenieren sich als Idole eines gesellschaftlichen Aufstiegs, den sie auch ihren Anhängern versprechen. Miracle Crusade („Wunderkreuzzug“) heißt die zweitägige Großveranstaltung der Kirche Salvation Ministries in Lagos. Und der Name ist Programm.
Auf dem Tafa Bawela Square geleitet ein Mann im Anzug eine ältere Frau die samtblauen Stufen zur Bühne hoch. „Diese Frau ist taub“, verkündet Pastor Ibiyeomie. In einer Hand hält er das Mikrofon, die andere legt er ihr auf die Stirn. „Im Namen von Jesus Christus, du kannst wieder hören!“ Die Frau taumelt rückwärts, einen Augenblick später bewegt sie mit verklärtem Lächeln ihre Füße zum Takt der Gospelband. „Du bist geheilt!“, ruft der Pastor. Aus den Zuschauerreihen ertönen ekstatische Halleluja-Rufe.
David Ibiyeomie ist Heiliger, Megastar und Lebensberater in einer Person. Er hat Dutzende Bücher geschrieben über Themen wie beruflichen Erfolg, Wege aus der Verschuldung und zu einer glücklichen Ehe. Wie alle Pastoren der Pfingstkirchen gilt auch David Ibiyeomie unter seinen Anhängern als Mittler zwischen Himmel und Erde, durch den der Heilige Geist auf die Gläubigen wirkt. Wunder vollbringen, Kranke heilen und Dämonen austreiben sind feste Bestandteile der Gottesdienste nigerianischer Pfingstkirchen. Ebenso wie die Vermittlung rigider Moralvorstellungen: Homosexualität und außerehelicher Sex gelten als Werk des Teufels.
Immer mehr Gläubige drängen, auf ihre eigene Heilung hoffend, in Richtung Bühne, die von Sicherheitskräften abgeschirmt wird. „Blinde, Taube, Stotterer oder HIV-Kranke, ihr seid geheilt im Namen von Jesus Christus“, ruft David Ibiyeomie. Die poppigen Hymnen der Gospelband wogen wie Wellen über den Platz, gewaltig verstärkt von den Stimmen der mitsingenden Gläubigen. Im Hintergrund rattern die Dieselgeneratoren, damit dem Mega-Event nicht der Strom ausgeht. Zu instabil ist die Energieversorgung im Zentrum von Lagos mit seinen 20 Millionen Einwohnern.
Eigentlich ist die Pfingstbewegung noch jung, sie entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA. Ihre Anhänger glauben, dass der Heilige Geist Dämonen austreibe und verlorene Seelen in wiedergeborene Christen verwandele. In den modernen Pfingstkirchen heute ist der Heilige Geist ein Hybride aus Tradition und Moderne. Er soll Krankheiten heilen und den Weg weisen zum Erfolg in einer kapitalistischen Welt.
Umkämpfter Markt des Glaubens
Armut und gesellschaftliche Ungleichheit bilden weltweit den Nährboden, auf dem die Pfingstkirchen wachsen. Reiche Ölvorkommen hatten Nigeria lange zu einem steilen Wirtschaftswachstum verholfen und machen es bis heute zur größten Volkswirtschaft Afrikas. Doch als Folge sinkender Ölpreise und wachsender Förderprobleme schlitterte das Land nach der Jahrtausendwende in eine Rezession. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2015 verdreifacht, betroffen sind vor allem Jugendliche. Knapp die Hälfte der Bevölkerung lebt in extremer Armut.
Der Erfolg der Pfingstkirchen ist also auch ein Symptom der Verzweiflung in einer sich rasch wandelnden Welt. So sieht es die deutsche Ethnologin und Religionswissenschaftlerin Birgit Meyer, die in Utrecht lehrt und seit zwanzig Jahren zu West- und Zentralafrika forscht. „Die Pfingstkirchen verheißen gesellschaftlichen Aufstieg. Die Menschen in jenen Ländern sind oft ohne Perspektiven und werden vom Staat allein gelassen.“ Die Kirchen stellen die Selbstverwirklichung des Einzelnen in den Vordergrund. „Sie kombinieren Spiritualität mit Materialismus. So fügen sie sich ein in die kapitalistische Moderne“, sagt Meyer. Trotz des anhaltenden Wachstums der Kirchen beobachte sie aber auch Anzeichen von Frustration und Ermüdung unter den Gläubigen. „Die Menschen sehen, wie sich die Pastoren bereichern, während sie selbst der Armut kaum entkommen.“
Tatsächlich ist der Markt des Glaubens hart umkämpft. In Lagos steht an fast jeder Straße eine Pfingstkirche, oft nur einen Steinwurf von der nächsten entfernt. Im ganzen Land sind Tausende neuer Gemeinden entstanden. Die großen halten ihre Gottesdienste in Hallen und Stadien, die kleinen in Garagen, Shops und Wellblechhütten.
In einem einfachen Quartier außerhalb des Stadtzentrums von Lagos steht die Kirche von Pastor Jude Utsche. Ein unverputzter Backsteinbau mit farbigen Kunstblumen an der Wand. Soeben ist der Sonntagsgottesdienst zu Ende gegangen. Gut vierzig Leute besuchen jeweils seine Predigt, sagt Utsche stolz. In der Mitte des Raumes steht ein gläsernes Behältnis, in das die Gläubigen ihre Kollekte einwerfen. Es ist bis oben mit abgegriffenen Geldnoten gefüllt.
„Ich habe meinen Auftrag von Gott erhalten“, sagt Pastor Utsche. Vor etwas mehr als zehn Jahren habe eines Morgens, er war noch zu Hause, eine Stimme dreimal seinen Namen gerufen. „Sie sagte mir: Jude, Gott hat dir eine Gabe geschenkt. Nutze sie, und gründe eine Kirche.“ Damals betrieb er noch ein kleines Geschäft für Elektrogeräte und führte ein bescheidenes Leben. Heute besitzt er ein eigenes Haus und kann seine Kinder auf eine private Schule schicken. Sein Aufstieg ist seine Botschaft: „Egal wie arm jemand ist, wir machen ihn mit Gottes Hilfe zu einem Mitglied der Oberschicht!“ Er glaubt, seine kleine Kirche werde einst zu den größten des Landes zählen, mit Ablegern rund um die Welt.
Aus Sicht der Pfingstkirchen ist der Boom im Süden nur die erste Etappe auf dem Weg zu einer neuen Verchristlichung der Welt. TV-Netzwerke der Pfingstkirchen übertragen deren Gottesdienste bereits heute in Haushalte in allen Hemisphären. Die Christian Redeemed Church of God als größte Pfingstgemeinde Nigerias zählt Ableger in mehr als 190 Ländern, auch in Deutschland (etwa in Berlin, Hamburg und Bonn). Noch sind es meist Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die sich anschließen.
Stimmen, die sich kritisch mit den Kirchen auseinandersetzen, gibt es in der nigerianischen Öffentlichkeit kaum. Einer der bekanntesten Kritiker heißt Bisi Alimi. Der 44-Jährige war lange Zeit selbst Mitglied einer Pfingstkirche, heute spricht er sich entschieden gegen die Bewegung aus: „Wenn ein Mann Gottes in diesem Land eine Flotte von Privatjets besitzt, gibt es dafür keinen anderen Begriff als Betrug!“, sagt Alimi beim Treffen in einer Hotellobby auf Victoria Island, dem modernsten Stadtteil von Lagos, wo gläserne Hochhäuser in den Himmel wachsen. Alimi war seit seiner frühen Kindheit ein Anhänger der Pfingstbewegung, bis er seine Homosexualität entdeckte, zuerst die Kirche verließ und schließlich vor Verfolgung nach Großbritannien flüchtete. Heute setzt er sich als international bekannter Aktivist für die Rechte von homosexuellen Menschen ein und pendelt zwischen London und Lagos.
Alimi kritisiert insbesondere die undurchsichtigen Verflechtungen zwischen Kirchen und Politik. Als prominentes Beispiel nennt er Yemi Osinbajo. Der Vizepräsident Nigerias, der bei den Wahlen im Februar soeben bestätigt wurde, ist zugleich einflussreicher Pastor einer der größten Pfingstkirchen im Land. „Wer ein politisches Amt bekleiden möchte und nicht zum muslimischen Bevölkerungsteil zählt, ist ohne Unterstützung durch eine große Kirche chancenlos“, sagt Alimi. Auf Druck der Kirchen sei auch die Verfolgung von Homosexuellen verschärft worden. 2014 erließ die Regierung ein Gesetz, nach dem gleichgeschlechtliche Handlungen mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden können. Die Versprechungen der Pastoren hält Alimi für Lügen. „Die Menschen gehen in die Kirchen, weil sie auf ein Wunder hoffen, das nie geschehen wird.“ Er glaubt, erst wenn Korruption und Armut sinken, werden auch die Kirchen an Bedeutung verlieren.
Auf dem Tafawa Bawela Square heilt Pastor David Ibiyeomie seit mehr als zwei Stunden die Gläubigen von ihren Leiden. Mitarbeiterinnen gehen mit großen Körben durch die Reihen der noch immer singenden und betenden Menschen und sammeln Geldspenden ein. „Ich liebe euch. Morgen bin ich wieder hier!“, ruft der Pastor, während die letzten Trompetenklänge verebben. Ibiyeomie verlässt die Bühne und schreitet über einen roten Teppich zu der bereitstehenden Limousine. Sicherheitsleute bilden eine Kette und halten die Menschenmenge zurück, die in seine Richtung drängt. Eine Frau reicht ein Kleinkind über die Köpfe hinweg zum Pastor, der kurz seine Hand auf dessen Stirn legt.
Dann verschwindet er hinter den verdunkelten Scheiben der Limousine und fährt, begleitet von Pick-ups mit Blaulicht und schwer bewaffneten Sicherheitskräften, in die Nacht. Im Continental Hotel hat er die Präsidentensuite gemietet und das gesamte Stockwerk dazu. Der Glaube an Gott – für David Ibiyeomie zahlt er sich aus.