Ein Schlachthof im Baselbiet produziert gesegnetes Schaffleisch für Muslime. Die Betreiber haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen.
Wer durch diese Tür tritt, steht mit einem Fuss im Orient. Türkische Sprachfetzen hallen durch die Korridore, Halbmond und Stern zieren eine Wand. Am Empfang bestätigt das Zertifikat einer Basler Moschee: „Hier produziertes Fleisch erfüllt die Halal-Richtlinien.“
Halal – der Begriff aus dem Koran bedeutet so viel wie „erlaubt“ (siehe „Was heisst halal?“, Seite 42). Blut ist es nicht: Muslime dürfen kein Blut verzehren; wie Juden und gemäss dem Alten Testament auch Christen nicht. Darum müssen Schlachttiere mit einem Schnitt durch den Hals ausbluten.
Aus diesem jahrhundertealten Gebot haben Adrian Lüscher und Murat Sahin ein Geschäftsmodell gemacht: In Buckten in Baselland schlachten die beiden für Muslime in der gesamten Schweiz. Lüscher, 41, und Sahin, 26, übernahmen vor sechs Jahren den Betrieb nach einem Konkurs. Sie begannen bei null, heute verkauft ihre Sila AG im Jahr 150 Tonnen Schaf oder, etwas plastischer, 20 000 Tiere. An Dönerbuden, Lebensmittelläden, ein paar Hotels und Restaurants.
Was ist in der Schweiz erlaubt?
Betriebsleiter Adrian Lüscher kommt mit grossen Schritten daher. Kräftige Statur, kahlrasierter Kopf, freundlicher Blick. Endlich sei einmal ein Journalist hier, sagt er in breitem Berndeutsch, endlich könne er aufräumen mit den Vorurteilen. „Denn wenn es um Schächten und Halal-Fleisch geht, hat ein Grossteil der Bevölkerung immer noch völlig falsche Bilder im Kopf.“ Am Vortag auf dem Viehmarkt im Bernbiet musste er einem Bauern wieder einmal die Frage beantworten, was mit seinen Tieren geschieht. „Viele meinen, bei uns wird ihnen einfach der Kopf abgeschnitten.“ Lüscher erklärt dann geduldig und versucht das Vertrauen zu gewinnen – immer gelingt es nicht.
Beim traditionellen Schächten werden die Tiere ohne Betäubung mit einem einzigen Schnitt durch den Hals getötet. Das ist in der Schweiz jedoch nicht erlaubt – wie in vielen anderen Ländern Europas auch nicht. Es war das Jahr 1893, als das Stimmvolk das „Verbot des Schlachtens ohne vorherige Betäubung“ annahm. Diese allererste Volksinitiative der Schweiz war von Tierschutzgruppen lanciert worden, der Abstimmungskampf war aber stark von antisemitischen Ressentiments geprägt. Erlaubt ist die Schächtung seither nur, wenn die Tiere nicht mehr bei Bewusstsein sind. Eine angepasste Methode, die vom Grossteil der in der Schweiz lebenden Muslime akzeptiert wird.
Der Metzger blickt nach Mekka
In der Schlachthalle wetzt der türkischstämmige Metzger die Klinge. Ein untersetzter Mann mit buschigem Schnurrbart, über dem stattlichen Bauch eine grüne Plastikschürze. Einige Meter daneben betäubt ein Mitarbeiter mit einer Elektrozange ein Schaf. Das Tier wird an den Hinterbeinen aufgehängt, die Förderbahn transportiert das regungslose Schaf zum Metzger, der packt es am Kopf und durchtrennt mit einer einzigen Armbewegung Halsschlagader, Speise- und Luftröhre. Sein Blick ist nach Vorschrift in Richtung Mekka gerichtet, er spricht lautlos den islamischen Segen: „Bismillahir rahmanir rahim“, im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes. Das Blut färbt seine Hände rot, ergiesst sich auf Schürze und Schuhe.
Rituelles Schlachten im Minutentakt. Wasserdampf erfüllt die Halle, das Rufen der Metzger, das Rasseln der Eisenketten und das Rattern der Förderbahn. „Das ist der einzige Unterschied“, ruft Lüscher zufrieden gegen den Lärm an. „Er, der schneidet, ist ein Gläubiger und sagt sein Gebet. Alles andere ist wie auf jedem anderen Schlachthof. Nach Tierschutznorm, nach Tierschutzrecht. Alles legal.“ Tatsächlich kommen in den meisten Schlachthöfen der Schweiz Kleintiere nach dieser Methode zu Tode, erst die Betäubung, dann der Schnitt.
Im Kühlraum hängen Dutzende enthäutete Schafe. Im Obergeschoss liegt der fensterlose Gebetsraum: an der Wand ein Bild von Mekka, am Boden farbige Teppiche. Nebenan die Kantine. Orientalische Musik spielt, in einer Ecke steht ein Silbertopf mit Schwarztee, in der gefliesten Küche hantiert eine Frau mit Kopftuch und bereitet fürs Mittagessen Içli Köfte zu. Ein Stück Türkei im Baselbiet.
„Reich geworden bin ich bisher nicht“
Geschäftsführer Lüscher setzt sich an einen der Holztische, greift in die Brusttasche nach seinen Zigaretten und zündet sich eine an. Er stammt aus dem Berner Mittelland, bezeichnet sich als SVP-Sympathisant, hat mit Religion wenig am Hut und war ein einziges Mal für Ferien in der Türkei. Es wirkt ein wenig, als hätte er sich in der Tür geirrt. Was sucht er hier? Die Unabhängigkeit, sagt er. Lüscher ist Pragmatiker, der Schlachthof sein Geschäft. „Reich geworden bin ich bisher nicht damit. Dafür können wir selbstbestimmt wirtschaften.“ Vom Einkauf über die Verarbeitung bis zum Verkauf hat er alles in der eigenen Hand.
Von der Schlachthalle kommen die ersten Mitarbeiter in die Kantine: Türken, ein Iraker, ein Syrer, ein Eritreer. „Die Sprache ist eine der grössten Herausforderungen“, sagt Lüscher. Mit einigen seiner 18 Angestellten könne er sich nur unterhalten, wenn ein Kollege übersetze. Manchmal ärgere ihn das, etwa bei jenem Schlachter, der seit mehr als 30 Jahren in der Schweiz lebt und kaum ein Wort Deutsch spricht. „Sprache ist der Kernpunkt der Integration. Wenn einer bei uns lebt, sich aber nicht integrieren will: Dafür habe ich kein Verständnis.“
Wenn Lüscher über die Angestellten spricht, wechselt seine Stimme zwischen Wohlwollen und Kritik. Sein gespaltenes Verhältnis zum eigenen Betrieb zeigt sich auch, wenn es um die Zahl der Flüchtlinge geht. Einerseits steigt mit der Zuwanderung von Muslimen die Nachfrage, sagt Lüscher. Doch so recht darüber freuen könne er sich nicht. „Wenn wir sehen, was in Deutschland passiert, das geht zu weit. Man kann ein Land nicht einfach mit Migranten fluten.“ Er fürchtet die Entstehung von Parallelgesellschaften, den Verlust der Landeskultur, er sorgt sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Bei der Integration sieht er sich auch als Unternehmer gefordert: „Es gehört zu unseren Aufgaben, diese Leute mit unserer Kultur vertraut zu machen.“
Zahlungsmoral ist das grösste Problem
Dann betritt sein Geschäftspartner Murat Sahin den Raum, leicht jungenhaft, mit feingeschnittenem Gesicht und wachsamem Blick. Er begleitet drei arabischsprechende Männer, die in Zürich einen libanesischen Lebensmittelladen eröffnen wollen und einen Fleischlieferanten suchen. „Heute vertrauen die Muslime in der ganzen Schweiz unserer Marke“, sagt Sahin in gebrochenem Deutsch. Das war nicht immer so. Anfangs kostete es ihn einige Mühe, die Kunden zu überzeugen, dass auch ein Schweizer wie Lüscher einen Halal-Schlachthof leiten kann. Die Arbeit haben die beiden klar aufgeteilt: Lüscher, der aus einer Bauernfamilie stammt, kümmert sich um den Ankauf der Tiere. Sahin, in der Türkei aufgewachsener Muslim, dem zwei bekannte Dönerbuden in der Nordwestschweiz gehörten, kümmert sich um die Kunden.
Er führt die Libanesen weiter zur Schlachthalle im Erdgeschoss. Sie hören, wie der Metzger das Gebet spricht, loben die Sauberkeit des Betriebs und besprechen danach in der Kantine Bestellmengen und Fleischsorten. „Ist das Poulet auch halal?“ Sahin lässt seine Faust auf den Tisch fallen. „Ja, alles ist halal. Auch das Poulet. Es hat ein Zertifikat.“ – „Könnt ihr uns mit den Preisen etwas entgegenkommen, bis das Geschäft läuft?“ – „Ja, das sollte gehen. Da kann ich dir etwas helfen.“
Die Geschäfte mit muslimischen Kunden laufen nach eigenen Regeln: An Abenden und Wochenenden besucht Sahin die Käufer in ihren Läden, trinkt Tee und kassiert offene Rechnungen. Anders funktioniere es nicht, sagt er. Und auch so müssten sie meist viel zu lange aufs Geld warten.
Dann stellt sich Sahin zum rauchenden Lüscher hinaus in die Winterluft, langt in dessen Brusttasche und zieht eine Zigarette heraus, eines der wenigen Zeichen von Vertrautheit zwischen den beiden. Im Geschäftlichen seien sie sich einig, sagt Lüscher. Darüber, dass die Zahlungsmoral der Kunden ihr grösstes Problem ist. Dass sie langsam wachsen und das Geld wieder in den Betrieb investieren wollen. Die kulturellen Unterschiede seien für ihn kein Thema, sagt Sahin. „Mensch ist Mensch. Wichtigste ist diese“, Religion und Kultur kämen bei ihm an zweiter Stelle.
Uneinig sind sie nur, wenn Lüscher über türkische Politik spricht und Präsident Erdogan für dessen „islamistische Politik“ kritisiert. Darüber hinaus beschränkt sich ihre Beziehung aufs Geschäftliche. Die Einladung zu einer Hochzeit hat Lüscher dankend abgelehnt, Beruf und Privates halte er gern getrennt. Und so nickt nach Feierabend jeder dem andern kurz zu, setzt sich hinters Steuer und fährt wieder in sein eigenes Leben.